Elternzeit als Weiterbildung – für persönliche und berufliche Weiterentwicklung
Elternzeit als Weiterbildung
Wie du deine Elternzeit sinnvoll nutzen kannst für persönliche und berufliche Weiterentwicklung
Von Diana Tübke

Warum die Elternzeit eine gute Gelegenheit ist, sich um die persönliche Entwicklung zu kümmern und wie du die Elternzeit sinnvoll nutzen kannst, um dich persönlich und beruflich weiterzuentwickeln, erkläre ich dir in diesem Artikel. Außerdem gebe ich dir Tipps, wo du mit deiner Persönlichkeitsentwicklung anfangen kannst.
1. Persönliche Weiterentwicklung – was ist das genau?
Aus systemischer Sicht bedeutet persönliche Entwicklung, bewusst daran zu arbeiten, als Person zu wachsen und sich weiterzuentwickeln. Im Grunde geht es darum, eine bessere Version von sich selbst zu werden und durch seine Emotionen, Gedanken und Handlungen eine gesunde Lebensbalance zu erreichen.
Im Wesentlichen geht es um folgende Punkte:
- Selbstreflexion
Du denkst über dich selbst nach – über deine Überzeugungen, Werte und Verhaltensmuster und reflektierst letztlich deine eigene Identität.
- Ziele und Visionen
Du setzt dir klare Ziele und hast eine Vorstellung davon, wer du sein möchtest.
- Ressourcen und Herausforderungen ⛰
Du besinnst dich auf deine Stärken und Superkräfte und planst diese Ressourcen gezielt, um neue Herausforderungen zu meistern.
- Beziehungen
Du beleuchtest deine Beziehungen zu anderen Menschen (Familie, Freunde, berufliche Kontakte und dein ganzes soziales Netzwerk), identifizierst energiespendende und -raubende Beziehungen und pflegst diese bewusst.
- Bereitschaft zur Veränderung
Du bist offen für Veränderungen in deinem Leben und gehst diese aktiv an, um der Mensch zu werden, der du gerne sein möchtest.
2. Persönliche Entwicklung – wozu die Mühe?
Persönliche Entwicklung bringt Vorteile in verschiedenen Bereichen. Wer sich selbst besser kennt, weiß um seine Bedürfnisse und kann sein Leben danach ausrichten:
- wenn du dich und deine Bedürfnisse kennst und danach lebst, förderst du deine gesunde Lebensbalance
- wenn du deine berufliche Entwicklung bewusst reflektierst und eine Erfüllung im Job findest, schaffst du einen Ausgleich für Care Arbeit und Elternschaft
- wenn du dich damit auseinandersetzt, was dir wichtig ist und wozu du einen Beitrag leisten möchtest, gibst du deinem Leben einen Sinn – auch oft als Purpose bezeichnet
- wenn du in deinen Purpose einzahlst, steigerst du deine Selbstwirksamkeit und stärkst so deinen Selbstwert
- wenn du deine Lebensziele kennst, handelst du bewusst und kannst im Vereinbarkeitsalltag leichter Prioritäten setzen
3. Persönliche Entwicklung – warum gerade in der Elternzeit?
Ausnahmezustand
Elternzeit ist wie der der Name schon sagt, in erster Linie “Zeit als Eltern”.
Elternzeit ist nach der Definition des BMFSFJ eine “Auszeit vom Berufsleben für Eltern, die ihre Kinder selbst betreuen und erziehen”.
Und besonders in den ersten Wochen nach der Geburt ist diese Zeit meist auch fast ausschließlich der Versorgung des Säuglings gewidmet.
Die eigenen Bedürfnisse werden ganz selbstverständlich hinten angestellt – das oberste Ziel ist es, das Baby “am Leben zu erhalten”. Und dafür wird in den meisten Fällen so ziemlich die gesamte Energie aufgewendet, die nach Abzug von Schlafmangel, körperlichen “Nachwehen” (im wahrsten Sinne des Wortes) und psychischer Belastung durch Phänomene wie der Muttertät noch übrig bleibt.
Doch dieser “Ausnahmezustand” des reinen “Funktionierens” bleibt nicht dauerhaft bestehen. Neue Gewohnheiten ziehen in unseren Alltag ein und unser Gehirn bildet neue Automatismen, die mit der Zeit immer weniger bewusste Aufmerksamkeit von uns fordern.
Langeweile
Früher oder später schleicht sich in der Elternzeit Langeweile ein – nach Prammer “das Gefühl, nicht genutzter Zeitoptionen” – in der Psychologie auch definiert als ein Zustand der kognitiven Unterforderung und des “nicht ausgelastet seins”.
Mit der Elternzeit kommt die ständige Verantwortung für ein neues Lebewesen – aktiv oder “auf Abruf”:
- füttern
- wickeln
- in den Schlaf wiegen
- beruhigen
- unterhalten
- und später vor selbstzerstörerischen Handlungen bewahren
In jedem Fall ist ständig mindestens ein Auge auf das Kind gerichtet.
Dazu kommen anstrengende Entwicklungsschritte und Sorgen – das ganze breite Spektrum der Care-Arbeit.
Und trotzdem – und das darf ruhig auch ausgesprochen werden – ist Elternzeit auch oft langweilig:
- weil wir in dieser Zeit kognitiv nicht stark gefordert sind – anders, als wir es aus unserem Berufsleben gewohnt sind
- weil wir weniger oder einen anderen sozialen Austausch pflegen, in dem es meistens um den besten Breistart oder Windelinhalte geht
- weil wir unsere Expertise (beruflich, akademisch) nicht mehr sinnstiftend einsetzen können
Erziehungsfragen sind Grundsatzfragen
Hinzukommt, dass die Erziehung von Kindern oft automatisch mit der Erkenntnis eigener Werte und Glaubenssätze einhergeht. Dadurch, dass wir immer wieder mit neuen Grundsatzfragen konfrontiert werden, werden wir gezwungen, uns bis dato unbewusste Haltungen und Verhaltensweisen bewusst zu machen.
Warum also nicht gleich die Gunst der Stunde nutzen, um diese auch zu hinterfragen:
- Will ich so sein?
- Warum glaube ich das?
- Wie möchte ich mich der Welt zeigen?
- Was möchte ich meinem Kind für’s Leben mitgeben?
Das kann auch dazu führen, dass wir unsere Partner:in völlig neu kennenlernen, wenn wir uns z.B., über unser Weltverständnis austauschen und Stück für Stück eine Familienidentität aufbauen.
Wenn nicht jetzt, wann dann?
- Die Betreuung von Babys und Kleinkindern während der Elternzeit erfordert zwar unsere ständige Aufmerksamkeit, manchmal aber auch “nur auf Abruf”, z.B. während der Schlaf-, Fütter- & Spazierzeiten (besonders am Anfang), in denen wir viel Zeit zum Nachdenken haben.
- Unsere Psyche ist mit den klassischen Betreuungsaufgaben kognitiv schnell unterfordert und braucht Futter. Wir haben freie Kapazitäten für kognitive Anstrengung – anders gesagt: freien Arbeitsspeicher für herausfordernden Gedanken.
- Durch die Erziehung und Verantwortung für ein neues Lebewesen werden wir ohnehin ständig mit Aspekten unserer eigenen Identität konfrontiert und können diese “Anstöße” zum Anlass nehmen, unser eigenes Weltbild kritisch zu hinterfragen.
Kurzum: Elternzeiten bieten einen perfekten Zeitraum für die persönliche Weiterentwicklung.
Die vorübergehende “Leere im Kopf” wird so mit Erkenntnissen über eigene Glaubenssätze, Ziele, Antreiber und AHA Momenten sinnhaft gefüllt.
4. Wie in den Elternzeit Alltag einbauen?
Nun stellt sich die Frage: wie kann persönliche Weiterentwicklung praktikabel in der Elternzeit umgesetzt werden? Wie können insbesondere die kleinen Zeiträume dazu genutzt werden?
Dazu gibt es unzählige Möglichkeiten – im kleinen und größeren Rahmen.
Hier eine Ideensammlung zur Umsetzung
- Selbstreflexionsübungen, wie ich sie regelmäßig in meinem Newsletter versende: schriftlich in einem schönen Notizbuch oder gedanklich, z.B. auf Sparziergängen oder während längerer Stilleinheiten (hier kannst du dich anmelden).
- Journaling – geführt oder frei: meiner Meinung nach eines der effektivsten Selbstmanagement-Tools, die man alleine durchführen kann (weiter unten ein paar Fragen, die du hierzu nutzen kannst)
- Bücher (oder Hörbücher) zur persönlichen Weiterentwicklung – hier eine kleine Auswahl rund um unsere Identität und unsere Gewohnheiten, die Frage nach dem Sinn und die wertvolle Ressource Zeit:
- Coaching – der nachhaltige und professionelle Weg zur persönlichen Weiterentwicklung. Gerade in Lebensphasen, die von großen Veränderungen geprägt sind, steht vieles auf dem Kopf und ein professionelles Coaching bringt Klarheit, Selbsterkenntnis, Strategie und einen roten Faden für Karriere mit Familie. Mehr über meine Arbeit als Coach findest du hier.

5. Fazit
Persönliche Weiterentwicklung ist wichtig. Ich erlebe so häufig Menschen, die mit sich und ihrem Leben unzufrieden sind. Klar, können wir die äußeren Umstände nur in einem gewissen Rahmen beeinflussen. Aber wir können unsere Sichtweisen, Gefühle und unser Verhalten beeinflussen und damit sehr viel mehr gestalten, als wir manchmal denken.
Die Elternzeit bietet eine einzigartige Gelegenheit zur persönlichen Weiterentwicklung – trotz oder gerade wegen der Herausforderungen, die mit der Betreuung eines Babys einhergehen. In dieser Phase
- lernst du dich selbst besser kennen
- hast den Freiraum, deine persönlichen und beruflichen Interessen zu überdenken
- und erhältst ständig neue Impulse, die dich zum Nachdenken animieren
Das alles fördert deine persönliche Entwicklung.
Es ist eine Zeit des Wandels und der Selbstreflexion, die so zu einer gesunden Lebensbalance im neuen Setup beitragen kann. Die persönliche Weiterentwicklung in der Elternzeit ist eine Investition in sich selbst und in die Möglichkeit, das Leben so zu gestalten, wie es am besten zu einem passt.
6. Leichter Start: Quick Start Guide Journaling
Du möchtest gleich loslegen? Dann starte mit Journaling und beantworte tägliche folgende Fragen – am besten schriftlich:
- Was von dem, was ich heute getan habe, hat mein inneres Kind gefeiert?
- Welchen Schritt kann ich morgen konkret unternehmen, um meinen Lebenszielen näher zu kommen?
- Welche Art Mensch möchte ich morgen sein?
Quellen:
Clear, J. (2020). Die 1% Methode, minimale Veränderung, maximale Wirkung. Wilhelm Goldmann Verlag, München.
Kahneman, D. (2011). Schnelles Denken, Langsames Denken. Siedler Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe.
Prammer, E. (2013). Theoretische Aufarbeitung: Der Begriff der Langeweile. In: Boreout – Biografien der Unterforderung und Langeweile. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-00503-0_4
Storch, M., Krause, F., Weber, J (2022). Selbstmanagement – ressourcenorientiert. Hogrefe Verlag, Bern.
Storch, M. (2016) Machen Sie doch, was sie wollen! Verlag Hans Huber, Hogrefe Verlag, Bern.
Wrzesniewski, A., LoBuglio, N., Dutton, J.E. & Berg, J.M. (2013) Job Crafting and cultivating positive meaning and identity in work. in Advances in Positive Organizational Psychology, Volume 1, 281–302. Emerald Group Publishing Limited.
Foto Credit: Foto von Yeshi Kangrang auf Unsplash