Vier Wege der Teilzeitfalle zu entgehen
Vier Wege der Teilzeitfalle zu entgehen
Von Diana Tübke

1. Teilzeit für die Vereinbarkeit
Wer mich kennt, weiß, wie sehr ich flexible Arbeitszeiten befürworte. Teilzeit oder vollzeitnahe Teilzeit (wie ich sie z.B. auch nach der Rückkehr aus meiner ersten Elternzeit gearbeitet habe) ist ein beliebtes Vehikel, um Beruf und Familie zu vereinbaren.
Und im Laufe der Zeit haben sich sehr moderne Formen der Teilzeit entwickelt, die auch die berufliche Weiterentwicklung fördern und ermöglichen (z.B. Top Sharing, Job Sharing oder leistungsbezogene statt arbeitszeitbezogene Stellenkonzepte).
Betrachtet man die Arbeitszeiten, die in Familien durch Erwerbs- und Care Arbeit anfallen, so ist es ohne weitere Betreuungsunterstützung eine Herausforderung, wenn beide Elternteile in Vollzeit arbeiten. Natürlich gibt es auch gelungene Beispiele von vollzeiterwerbstätigen Eltern – hier spielen verlässliche Betreuungskonzepte für die Kinder eine wesentliche Rolle.
2. Mütter in Teilzeit – eine strukturelle Sicht
Für eine strukturelle Sicht werfen wir einen Blick auf die Verteilung von in Teilzeit arbeitenden Menschen in Deutschland.
Wer arbeitet in Teilzeit?
Im Jahr 2022 waren 67,5 % aller Eltern mit Kindern unter 6 Jahren aktiv erwerbstätig, davon in Teilzeit:
- 8 % der Väter
- 71,5 % der Mütter
Außerdem waren 82,3 % aller Eltern mit Kindern ab 6 Jahren aktiv erwerbstätig, davon in Teilzeit:
- 6,6 % der Väter
- 63 % der Mütter
Welche Schlüsse ziehen wir hieraus?
Es sind überwiegend immer noch die Mütter, die Teilzeitformen in Anspruch nehmen. Damit sind es weiterhin die Frauen, die nach der Geburt ihrer Kinder viel häufiger Abstriche machen, als die Männer.
Langfristige Folgen
Unter anderem trägt dieser Umstand zum ungleichen Einkommen zwischen Frauen und Männern bei. 2022 lag der unbereinigte Gender Pay Gap bei 18 %. Das heißt, Frauen haben im Jahr 2022 in Deutschland pro Stunden durchschnittlich 18 % weniger verdient als Männer. Teilzeit wird hierbei neben der Berufswahl (Frauen arbeiten häufiger in schlechter bezahlten Branchen und Berufen) als wichtigste Ursache aufgelistet. (Destatis, 2023)
Eine weitere Folge sind die ungleichen Renten zwischen Frauen und Männern. Der Gender Pension Gap lag in Deutschland im Jahr 2021 bei 42,6 %. Das heißt, in Deutschland beziehen Frauen ohne Hinterbliebenenrenten um 42,6 % geringere eigene Alterssicherungseinkommen als Männer. (Quelle: Destatis, 2023)
Was als gängige Praxis und von Eltern im ersten Moment als funktionierende Lösung betrachtet wird, birgt demnach mehrere Gefahren:
Finanzielle Abhängigkeit: wer in Teilzeit arbeitet, macht sich mit dem niedrigeren Einkommen meist abhängig vom vollzeitbeschäftigten Elternteil.
Finanzielles Risiko: wer sich finanziell auf den anderen Elternteil verlässt, setzt die eigene finanzielle Versorgung auf eine Karte. Beziehungen können in die Brüche gehen und auf einmal funktioniert das System für den in Teilzeit beschäftigten Elternteil nicht mehr.
Störanfälligkeit: Unfälle, Krankheiten, Schicksalsschläge – das System kann von heute auf morgen in sich zusammen fallen und wer keinen Plan B hat, ist auf sich allein gestellt.
Beruflicher Stillstand: Die berufliche Entwicklung von Teilzeitbeschäftigten ist in Deutschland nach wie vor deutlich schwieriger als in “klassischer” Vollzeitbeschäftigung. Wenn „die Kinder aus dem Haus sind”, fehlt nicht nur die finanzielle Unabhängigkeit, sondern auch die Möglichkeit zur eigenen beruflichen Entfaltung.
Neue Teilzeit-Formen und Ansichten kommender Generationen können hier sicherlich noch viel bewegen
Von “Teilzeit als Lösung” zur „Teilzeitfalle“
Teilzeit ermöglicht durch die damit verbundene zeitliche Flexibilität eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie. So viel ist klar. Und oft höre ich von Frauen auch Sätze wie: “Ich möchte das aber so machen. Ich möchte gerne in Teilzeit arbeiten.”
Also alles gar nicht so schlimm?
Bildhaft verkörpert eine Falle einen “Hinterhalt, durch den man jmdn. zu Fall bringen, hereinlegen will”. (DWDS – Der deutsche Wortschatz)
Hier wird deutlich:
Eine Falle ist nicht gleich als solche erkennbar. Und der Hinterhalt, definiert als “Ort, an dem jmd. aus dem Versteck unerwartet überfallen wird” verdeutlicht auch, dass die Folgen dieser Falle unerwartet sind.
Daraus folgt:
Selbst, wenn eine Mutter (oder ein Vater – auch das gibt es immer häufiger) heute aus freien Stücken und aus voller Überzeugung in Teilzeit arbeitet, kann es trotzdem sein, dass sich die Umstände zu einem späteren Zeitpunkt ändern und sie sich dann nicht mehr aus dieser Situation herausbewegen kann. Damit ist sie drin: in der Teilzeitfalle.

Also gar nicht erst rein?
Sollten wir also besser gar nicht erst Teilzeit arbeiten? Das könnte eine Lösung sein.
Realistisch ist sie in den meisten Fällen nicht. Und erstrebenswert auch nicht für alle. Zeit mit den Kindern zu verbringen, wünschen sich viele Eltern – Mütter als auch Väter. Und die Doppelbelastung von Beruf und Familie kann auch die Gesundheit gefährden.
Wir erinnern uns an meine eingangs erfolgte Lobeshymne auf die Teilzeit. Teilzeit bringt nicht nur für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie Vorteile mit sich, sondern z.B. auch für berufsbegleitende Weiterbildungen, Pflege von Angehörigen, Ausübung eines Ehrenamts, persönlich Entfaltung usw. Und zudem fördert sie die Gesundheit, da Belastungen durch negativen Stress gesenkt werden können.
Und doch:
Die oben aufgeführte strukturelle Schieflage mit den Nachteilen für die Teilzeitbeschäftigten bleibt.
Teilzeit wird erst zur Falle, wenn wir den “Hinterhalt nicht erahnen” und uns “kalt von den Folgen erwischen lassen”
Welche Möglichkeiten gibt es nun also, um Teilzeit nicht zur Falle werden zu lassen?
3. Vier Wege der Teilzeitfalle zu entgehen

1
Umschiffen
Der einfachste Weg aus der Falle ist, gar nicht erst hineinzufallen. Das heißt, beide Elternteile arbeiten weiterhin in Vollzeit.
- Diese Form setzt zuverlässige und ausreichende Betreuungsform voraus. Neben öffentlichen Einrichtungen kann dieser Bedarf natürlich auch durch zusätzliche Dienstleistungen oder das private Netzwerk und die Familie (z.B. Großeltern) abgedeckt werden.
- Eine weitere Möglichkeit, weiterhin in Vollzeit zu arbeiten und gleichzeitig allen familiären Verpflichtungen nachzukommen, ist eine Kommunikation auf Augenhöhe mit der Arbeitgeber:in. So können individuelle, flexible Arbeitszeitformen gut funktionieren, wenn sich beide Seiten darauf einlassen. Ein Teil der Arbeit kann auch außerhalb der üblichen Arbeitszeiten (z.B. früh morgens oder spät abends) erledigt werden. Voraussetzung hierfür ist auch eine mobile oder zumindest hybride Arbeitsform.
-
Schließlich können auch beide Elternteile weiterhin in Vollzeit arbeiten, wenn im Arbeitsvertrag nicht die Arbeitszeit, sondern die Ergebnisse im Vordergrund stehen. Im außertariflichen Bereich ist dies bereits häufig der FAll und grundsätzlich dort, wo in Vertrauensarbeitszeit gearbeitet wird. Wo Licht ist, ist auch Schatten: Voraussetzung für ein gutes Gelingen ist eine familienfreundliche Unternehmenskultur, in der Führungskräfte als Vorbilder fungieren und es nicht zum guten Ton gehört, Stunden um der Stunden willen anzuhäufen.
Immer mehr Unternehmen erkennen, dass familienbewusste Führung und flexible Rahmenbedingungen ein Muss sind, um Fachkräfte zu gewinnen und zu halten.
Der größte Vorteil der Strategie “Umschiffen” liegt auf der Hand:
Es gibt keine Gehaltseinbußen und es lohnt sich, ein solches Konzept zu erstellen und mit der Führungskraft und HR ins Gespräch zu gehen.
2
Kurs setzen
Gut geplant ist halb gewonnen: die meisten Eltern denken bei der Familiengründung an die ersten zwei Jahre nach der Geburt.
Warum?
Weil man sich gemäß BEEG bei der Beantragung der Elternzeit auf diesen Zeitraum festlegen muss (vgl. § 16 Abs. 1 BEEG).
Auch wenn sich Trends abzeichnen, nach denen sich die Aufteilung der Care Arbeit zwischen Müttern und Vätern zumindest annähern (Väterreport 2023), bleibt es doch häufig bei der klassischen Beantragung:
- Mutter: 2 Jahre Elternzeit und Teilzeit in Elternzeit nach dem ersten Elternzeitjahr
- Vater: 1 Monat parallel zur Elternzeit der Mutter (nachdem dieser Zeitraum von zwei auf einen Monat gekürzt wurde) und Weiterbeschäftigung in Vollzeit
Davon abweichende Anträge habe ich in meiner über 10-jährigen Tätigkeit als Personalerin nur selten gesehen. Ausnahmen bestätigen die Regel. Wie es auch anders gehen kann, zeigt meine Elternzeit-Possibility-Reihe.
Um der Teilzeitfalle zu entgehen, sollte ein langfristiger Kurs mit flexiblen Möglichkeiten gesetzt werden.
- Es lohnt sich einen Überblick über die gesetzlichen Möglichkeiten von “Teilzeit in Elternzeit” nach dem BEEG (§ 15 Abs. 4 ff BEEG) oder einer befristeten Teilzeit nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz (§ 9a TzBfG) zu verschaffen.
- Der Plan sollte Rückkehrmöglichkeiten in ein Vollzeitbeschäftigungsverhältnis ebenso berücksichtigen wie mögliche Ausgleichsleistungen an den in Teilzeit beschäftigten Elternteil (z.B. in Form einer Altersvorsorge).
-
Hierzu lohnt es sich, unterschiedliche Antragsmodelle zu erstellen und dann zu sehen, wo das geringste Risiko, aber auch genügend Flexibilität besteht. Denn erfahrungsgemäß gehören zur Planung mit Kindern auch immer Emotionen und gerade vor der Geburt des ersten Kindes, ist dieser Aspekt nur schwer einzuschätzen.
Außerdem sind die geplanten Betreuungsformen in der Realität meist nicht planbar – ein Plan B schützt vor unvorhergesehenen Situationen wie diesen:
- kein Betreuungsplatz
- verspäteter Eingewöhnungstermin
- lange Eingewöhnungsphase
- krankheitsbedingte Ausfälle bei Personalmangel
- plötzliche Ausfälle der Großelternbetreuung durch gesundheitliche Einschränkungen
3
Teammanöver
Immer häufiger teilen sich Eltern ihre Erwerbs- und Care Arbeit partnerschaftlich untereinander auf.
“So beziehen mittlerweile 44 Prozent der Väter Elterngeld, sie verbringen mehr Zeit mit ihren Kindern und ihnen ist die Erwerbstätigkeit und finanzielle Eigenständigkeit der Partnerinnen wichtig.” (Väterreport 2023)
Das kann bedeuten, dass
- beide Elternteile abwechselnd Teilzeitphasen einbauen
- beide Elternteile gleichzeitig ihre Arbeitszeit (geringfügig) reduzieren
Bei der Planung sollten verschiedene Modelle durchgespielt werden, um sich rechtlich abzusichern und die nötige Flexibilität zu gewährleisten.
Der Vorteil
Etwaige Gehaltseinbußen fallen in geringem Maße bei beiden Elternteilen an und führen langfristig zu einem höheren Haushaltseinkommen als bei einer einseitigen Teilzeit.
Warum?
- eine Senkung der Arbeitszeit um z.B. 5 Wochenstunden ist für Arbeitgebende kaum spürbar und die Wahrscheinlichkeit eines Karriereknicks ist deutlich geringer als bei einer Reduzierung um z.B. 20 Wochenstunden
- wenn beide Elternteile diesen Weg gehen, bleiben auch für beide die Türen für die berufliche Weiterentwicklung offen, d.h. beide haben Chancen, in den nächsten Jahren für höherwertige Position in Betracht gezogen zu werden
4
Sturm entfachen
Die letzte Möglichkeit, der Teilzeitfalle zu entgehen, besteht darin, neue Teilzeitformen auszuprobieren, die bewusst darauf ausgerichtet sind berufliche Entwicklung zu fördern.
Einer meiner Favoriten im Kosmos Teilzeit ist das Top Sharing.
Beim Top Sharing, findet sich ein Führungstandem zusammen, das sich eine Führungsposition teilt. Es gibt keine vorgeschriebene Form. Beide können in Teilzeit beschäftigt sein, es gibt aber auch Tandems, bei denen z.B. ein Teil in Vollzeit arbeitet und neben der halben Führungsposition noch weitere Aufgaben oder Projekte verantwortet, während der andere Teil in Teilzeit arbeitet. Eine leichte Überlappung der Arbeitszeiten für Absprachen und Übergaben wird empfohlen. Inzwischen gibt es eine Vielzahl empirisch belegter Beispiele, die den Erfolg dieses Modells belegen.
Folgende Punkte sind bei der “Top Sharing Revolution” zu beachten:
- Insbesondere für Beschäftigte von Unternehmen, in denen es dieses Modell noch nicht gibt, sind Überzeugungsarbeit und ein langer Atem gefordert. Es braucht eine Strategie, um das Thema im Unternehmen wirksam zu platzieren.
- Außerdem braucht Top Sharing eine passende Persönlichkeitsstruktur: Kompetenzen in Kommunikation und Kooperation und die Fähigkeit zum Vertrauen sind hierbei unerlässlich. Ich empfehle, sich ins das Thema einzulesen und die eigene Persönlichkeit ehrlich zu reflektieren. Ein Coaching kann Augen öffnen und die eigenen Entwicklungsfelder und Stärken bewusst machen.
- Es müssen sich Tandems zusammenfinden, die ihre Werte teilen, sich gegenseitig vertrauen und bereit sind ohne Konkurrenzdenken partnerschaftlich miteinander zu arbeiten.
Wer sich hierfür interessiert, kann auf Plattformen wie Jobtwins und Twise geeignete Tandem-Partner:innen und Stellen finden.
4. Fazit
Wie bei allen Themen rund um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist auch das Arbeiten in Teilzeit sehr individuell. Es gibt nicht die “one fits all”-Lösung. Was für ein Elternpaar gut funktioniert, kann für das nächste zu Problemen führen.
Wichtig ist, dass die “Teilzeitfalle” als solche bekannt ist und dass ihr in eurer Familie alle Faktoren bedenkt.
▶Tipps für die Planung der Elternzeit und Rückkehr ◀
Eine Falle wird erst zur Falle, wenn sie nicht als solche erkannt worden ist. Mit diesem Wissen gelingt euch ein faires Vereinbarkeitsmodell, das den strukturell bestehenden Risiken vorbeugt.
